So ein Quark!

Wo gibt es was ? Fragen und Antworten rund um das Theme Einkaufen auf den Azoren.
Antworten
Benutzeravatar
hjh
Beiträge: 1284
Registriert: 31.03.2007, 18:29
Wohnort: 9555 Candelária u. 56412 Daubach

So ein Quark!

Beitrag von hjh » 19.07.2016, 10:49

So ein Quark!
Die Milchwirtschaft auf den Azoren gibt sich erfinderisch. So gibt es jetzt spezielle Milch von glücklichen Kühen. Oder recht teurer Yoghurt von Yoaçor. Er führt allerdings ein Schattendasein. Gekauft wird dafür der Yoghurt vom Festland.
Meine Frau sucht seit langem Quark in den hiesigen Supermärkten. Fehlanzeige, während er in Mitteleuropa überall erhältlich ist. Jetzt hat meine Frau ihn bei Continente gefunden. Wo kommt er? Vom Festland. Von der Molkerei Santonelli. Preis nur etwa 2,50 € für 400 g. Kein Wunder für solch ein exklusives Produkt. In Deutschland ist die gleiche Menge beim Discounter für rund 60 ct. zu haben. Der einfache Azorianer muss also für seine 400 g Quark 25 Minuten arbeiten. Und der Mitteleuropäer?
hjh

Benutzeravatar
hjh
Beiträge: 1284
Registriert: 31.03.2007, 18:29
Wohnort: 9555 Candelária u. 56412 Daubach

Re: So ein Quark!

Beitrag von hjh » 26.07.2016, 19:05

Meine Tochter hat mir nun bei Continente die aktuellen Quarkpreise fotografiert.
Dateianhänge
Quarkpreis.JPG

Lina
Beiträge: 10
Registriert: 25.07.2016, 14:32

Re: So ein Quark!

Beitrag von Lina » 29.07.2016, 10:40

Der Preis ist ja echt unglaublich!

Dolfo
Beiträge: 75
Registriert: 28.11.2017, 05:38
Wohnort: Terceira, Azoren

Re: So ein Quark!

Beitrag von Dolfo » 06.12.2017, 14:45

Es geht nicht nur um Quark und 25 Minuten dafür arbeiten zu müssen...
Generell gesehen ist auf den Azoren fast alles extrem teuer im Vergleich zu den 580€ Monatsgehalt!

Der sehr grosse Prozentsatz der Menschen hier muss mit dem gesetzlich festgelegten Minimallohn (genannt "salário mínimo) von etwa 580€ im Monat auskommen.

Das komplett irre daran ist, dass hier ein unmotivierter Depp welcher 20 Jahre jung ist und eine komplett unqualifizeierte Arbeit verrichtet, 580€ im Monat kriegt.

Eine 56 jährige Frau, welche gelernte Köchin ist und seit 27 Jahren (!!!) im selben Restaurant in Angra do Heroísmo arbeitet und hervorragend kocht, kriegt skandalöserweise ebenso nur die 580€.

In einem Hotel verdient eine 19 jährige Frau, welche Zimmer putzt oder in der Wäscherei arbeitet 580€.
Eine 40 jährige Receptionistin die fliessend Englisch spricht, welche kaufmännische Arbeiten ausführt und dazu noch gut aussehen soll, kriegt ebenso 580€!

Das System hier ist eine komplette Katastrophe und weist unzählige Attribute auf, welche an puren Kommunismus erinnern!
Es verweigert und blockiert jeden Fortschritt! Daher sind die Leute hier ALLE komplett unmotiviert, einen guten Job zu machen. Niemand geht hier gerne zur Arbeit. Klar! Denn wer lässt sich schon gerne ausnutzen?

Studieren oder sich Mühe zu geben im Job lohnt sich ja gar nicht, denn hier zahlt kein Arbeitgeber nur 1€ mehr als er muss. Eben die 580€! Grauenvoll, diese Drittwelt Verhältnisse auf den Azoren!

Obschon ich hier lebe, hab ich keinen blassen Schimmer, wie es überhaupt möglich ist hier, mit 580€ zu leben. Alles ist teuer...

Daher eben essen die Leute hier KEINEN Quark für 2,40€, sondern sie essen Brot mit Butter und Suppe! Punkt! Alle hier die so arm sind (das sind die Meisten!) essen die wässrige, fade Suppe mit den Kohlfetzen drin.
Fast niemand kauft Früchte und Gemüse (was gesund und teuer ist...), sondern alle füllen sich die Einkaufswagen mit völlig ungesunden Dickmachern, die billig sind!

Eine Ananas in der Quinta dos Açores kostet 5€.
Eine kleine Packung Rauchlachs 6€.
Ein Gläschen Kapern 3,80€.
Wenn einer 580€ im Monat verdient, so sind das 145€ in der Woche, und daher 29€ am Tag.
Wenn man 29€ durch 8 Arbeitsstunden teilt, so ergibt das einen Stundenlohn von 3,60€!

ALLE Leute die ich hier kenne und diesen erniedrigenden Lohn akzeptieren müssen, haben NULL Chancen auf ein anständiges Leben. Drum auch schauen viele depressiv und kränklich aus. Viele sind komplett übergewichtig, oder dann brandmager.

Einer der 3,60€ pro Stunde kriegt, der kauft sich logischerweise keine Ananas für 5€.
Wenn es Fleisch gibt, dann von der lausigsten Qualität bei der man sich die Zähne ausbeisst.

Viele Häuser sehen schon von aussen schlimm aus, aber innen ist es noch schlimmer. Alles sehr sehr ärmlich, Wände nicht gestrichen, natürlich im Winter ungeheizt sodass hier alle Rheuma haben!

Ich lebte in der Schweiz. Gemäss offizieller Statistik (im Internet ganz einfach zu finden...) beträgt der DURCHSCHNITTLSLOHN in Zürich 7'000 Schweizer Franken, was in etwa 6'000€ entspricht.
Hier kriegen die Leute 580€, ZEHN MAL WENIGER!
Die Ananas hier kostet 5€, in Zürich in etwa gleich viel!
Benzin ist hier fast gleich teuer wie in der Schweiz, aber in der Schweiz verdienen wir viel viel mehr!

Wenn ich in der Schweiz einem Gartencenter anrufe und einen Gärtner bestelle zwecks Gartenpflege, so zahle ich 68 Franken pro Stunde, was in etwa 58€ entspricht.
Hier auf Terceira zahl ich 10€ pro Stunde ans Gartencenter, wovon der Gärtner dann seine 3,60€ pro Stunde kriegt, und der Chef den Rest.
Einer Raumpflegerin in Zürich muss ich 30 Franken = 25€ pro Stunde zahlen. Hier zahl ich 5€...

Lustiges Beispiel:
Wenn ich in Zürich eine Phalaenopsis Orchidee kaufe, so zahle ich zwischen 20 und 30 Franken, was 17-25€ entspricht.
Auf Terceira zahl ich 29€ (!!!) für die gleiche Orchidee!!
Aber hier ist der Durchschnittslohn der Leute 580€, und in Zürich verdient niemand unter 4'000!
Daher kauft hier NIEMAND eine Orchidee, währenddem bei uns jeder Blumen kauft.

ALLES was hier Luxus ist wird absolut nicht gekauft. Ganz einfach darum, weil hier niemand Geld hat!

ALLE hier haben Schulden, kaufen Mobiltelefon, Bügeleisen (!!), Fernseher, Autos und ALLES auf Pump!

Die Mutter meiner Hausangestellten ist an die 60 und verdient auch 580€ im Monat. Sie brauchte neue Brillengläser, aber die kosten hier 300€. MEHR ALS IN DER SCHWEIZ! Sie musste einen Kredit aufnehmen, um neue Brillengläser zu kaufen. Drittwelt Verhältnisse in Reinkultur!!

Noch JAHRE nachdem ich aus der Schweiz nach Terceira übersiedelte bin ich zutiefst geschockt über die Tatsache, wie extrem arm hier die Leute sind. Sie müssen mit dem absoluten Minimum leben, und für Extravaganzen, Urlaub, Sprachaufenthalte, anständige Möbel kaufen, ein gutes Auto fahren und 100 andere Sachen hat fast niemand Geld.

In Zürich oder Lugano zahl ich 70€ für einen guten Haarschnitt. Hier kostet er 7€.

Die Unterschiede sind absolut gewaltig und erschlagend! Ich versteh drum, dass jeder Azoreaner vom Auswandern und einem besseren Leben träumt. Wäre ich hier geboren so hätte ich ALLES gegeben und ALLES gemacht, um irgendwie von hier wegzukommen! Das Leben macht hier für die meisten Leute keinen Sinn, denn sie haben buchstäblich einfach keine Chance auf ein gutes Leben.

Klar, in São Miguel gibt es eine KLEINE Schicht Leute, die Geld hat.
Auf Terceira leben 56'000 Menschen. Mein bester Freund Orlando Cabral war Finanzdirektor auf der Insel, weshalb er exakt weiss, wer was hat und versteuert. Tatsache ist, dass hier gerade mal 10% der Leute anständig bis gut leben können. 90% leben auf dem Minimum. Und es gibt von 56'000 Leute keine 50, die wirklich vermögend sind und CASH haben!

Dies die Erklärung dazu, warum der Quark, Rauchlachs, Papayas, Balsen Kekse, Mineralwasser Água das Pedras (1 Liter kostet 1,50€, viel teurer als in der Schweiz wo wir 10x mehr verdienen!!!!) und ALLES was teuer ist eben in den Regalen bleibt, oder kaum je vorhabden ist!

Zum Schluss noch was Nettes:
In der Schweiz zahlt man 8€ pro Stück, wenn man Strelitzien / die orangen Papageienblumen kauft.
Hier kosten sie 25 cents!! 32x weniger als in der Schweiz!
Ich lasse mir jeden Freitag 100 Stück davon liefern und zahle 25€ dafür. So gibt es in meinem Haus den ganzen Winter über 6-7 grosse Blumensträusse.

In all den JAHREN seit ich hier lebe hab ich noch NIE (!) gesehen, dass jemand Schnittblumen aufgestellt hatte.
10 Stück Strelitzien in einer Vase würden 2,50€ kosten. Aber niemand zahlt nicht mal das hier. Das zeigt doch, dass die Leute hier derart arm sind. Zudem entwickelt man aus der Armut raus auch keinen Sinn für Aesthethik oder sogenannt Unnötiges. Es geht hier ALLEN nur um O MAIS BARATO, um das Billigste!

Letzte Woche ging ich zum Supermarkt und wollte Pfefferminz Teebeutel kaufen. Ich fragte eine Angestellte, wo den bitte der Tee zu finden sei. Sie kam mit mir zum Gestell, tippte mit dem Finger auf eine Sorte und sagte DER DA IST DER BILLIGSTE!!
Ich lachte und sagte ICH MÖCHTE BITTE DEN, DER GESCHMACKLICH AM BESTEN IST.
Sie lachte zurück und sagte ACH JA, SORRY!! ICH VERGASS, DASS DER HERR EINEN SCHWEIZER PASS HAT! DARUM WILL ER DEN BESTEN TEE, OHNE AUF DEN PREIS ZU SCHAUEN...

Solche Episoden erlebe ich oft hier, da Kultur, Gewohnheiten, finanzielle Möglichkeiten und eigentlich ALLES hier anders tickt als in der Schweiz.

Antworten

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast